November 6, 2021No Comments

NOMEN EST OMEN

Ich freue mich immer sehr, wenn ich für GRANDE, das Magazin von Hochstamm Suisse eine Kolumne schreiben darf. Dieses Mal haben es mir die Birnen besonders angetan. Für alle, welche das Magazin nicht bekommen haben, hier meine Gedanken:

NOMEN EST OMEN!

Kürzlich habe ich nach vielen Jahren wieder mal eine «Birre-wegge» gegessen. Ich kann gar nicht sagen, wieso dieses feine Gebäck bei mir nicht mehr auf dem Einkaufszettel stand: Es ist wie in Vergessenheit geraten. Wahrscheinlich war ich so damit beschäftigt, keinen neuen kulinarischen Trend zu verpassen, dass mir das Offensichtliche entging. Wie heisst das Bonmot dazu? «Weshalb in die Ferne schweifen? Das Gut liegt so nah!»

Dabei ist das ein ausserordentlich gutes Gebäck: Dank der Früchte hat es eine angenehme Säure, welche super zum Teig passt, welcher die Birnenmasse umgibt. Leicht gewürzt mit Zimt, Koriander, Muskatnuss und einem Hauch von Anis überhaupt nicht mastig-süss. Und mit seinen Vitaminen auch ein gesunder Leckerbissen auf einer Wanderung oder bei einem langen Arbeitstag.

So kam es, dass ich mich für diese Kolumne wieder ein bisschen ausführlicher mit der Birne beschäftigt habe. Leider haben wir offenbar zusammen mit dem Trend zu immer funktionalerer Ernährung aufgehört, Lebensmittel zu konsumieren, die nach etwas schmecken. Die Birne wird als Tafelobst wenig gekauft und wenn, dann als neue Züchtung, welche bewusst weniger intensiv schmecken sollen. Die heissen dann zum Beispiel QTee und sollen gemäss einem Konsumentenfeedback «fest, grün und absolut geschmacksneutral» sein.

Früher war der Saft der Birne auch ein wichtiger Bestandteil im «Apfelsaft». Aber auch hier mussten die Mostereien den Anteil reduzieren, weil die Konsumenten nach «leichtem» Geschmack verlangen. Fairerweise muss dazu gesagt werden, dass dieser Trend nicht ganz neu ist. Denn sonst gäbe es wohl die Birreweggen nicht. Denn schon früher konnten die Bauern nicht alle frischen Birnen verkaufen und haben sie – um keinen Verlust hinnehmen zu müssen – gedörrt oder an der Sonne getrocknet. Aus diesen Dörrfrüchten haben die Frauen im Spätherbst dann eine Früchtemasse kreiert, diese in einem Teig eingerollt und das Ganze im Backofen gebacken. Dabei nutzten sie die Restwärme im Backofen nach dem Brotbacken.

Es ist ausgesprochen schade, dass unter den typischen Hochstamm-Obstsorten ausgerechnet die Birne so einen schweren Stand bei uns Konsumenten hat. Denn hochstämmige Birnbäume prägen unser Landschaftsbild seit Jahrhunderten. Wenn irgendwo ein richtig, richtig grosser Obstbaum steht, dann ist es höchstwahrscheinlich ein Birnbaum. Sie bilden majestätische pyramidale Kronen und können ein sehr hohes Alter erreichen.

Damit sind sie nicht nur einfach ein schönes Fotosujet für den Heimat-Kalender, sondern wertvolle Kulturlandschaftselemente und wichtiger Lebensraum für eine Vielzahl von Organismen. In den letzten 20 Jahren fielen Birnbäume jedoch mehr noch als andere Feldobstbäume der Kettensäge zum Opfer. Siedlungsdruck, mangelnde Pflege und eben fehlende Wirtschaftlichkeit wegen schlechter Absatzmöglichkeiten sind die Gründe.

Seit mir das wieder bewusst wurde, habe ich wieder explizit Birnen auf meinen Einkaufszettel geschrieben: Sie passen nicht nur wunderbar auf eine Käseplatte, sondern lassen sich auch gut bei Rezepten einsetzen, welche eigentlich mit Äpfeln gemacht werden. Kürzlich konnte ich Gäste mit einer Tarte tatin begeistern, bei welcher ich statt Äpfeln Birnen verwendet habe. Die Verbindung der Aromen des karamellisierten Zuckers mit der Säure der Birne: delikat!

Überhaupt werden Früchte auch in der «salzigen» Küche total vernachlässigt. Ein ganz profanes Tortellini-Rezept mit Salbei-Butter habe ich kürzlich mit dem Hinzufügen von ein paar Birnenschnitzen zu einem Highlight «gepimpt». Einfach die Birnenschnitze zusammen mit den Salbeiblättern in Butter anziehen lassen, bis die Birnenschnitze leicht karamellisiert haben und die Salbeiblätter knusprig sind. Wenn der Butter noch ein grosszügiger Schluck Olivenöl beigefügt wird, wird die Butter auch nicht braun und transportiert die Aromen vorzüglich. Dafür habe ich schlicht und einfach die «Gute Luise» verwendet, und es wurde mir wieder mal bewusst, wieso bereits die Lateiner recht hatten, als sie sagten: «Nomen est omen!»

Dezember 29, 2020No Comments

Beizensterben

Mit Eigenverantwortung und Vernunft

Die Unternehmen, von denen ich hier schreibe, heissen Baslerhof, Sternen, Elisabethenstübli oder tragen den Namen ihres Patrons Gianni oder Roberto: es sind die Restaurants unserer Stadt.

Die Inhaber sind diplomierte Restaurateure oder Köche mit langjähriger Erfahrung. Das ist auch nötig: es gibt kaum eine Branche, der mehr auf die Finger geschaut wird. Kaum etwas erregt mehr Aufregung als wenn ein Beizer mal sein Lokal länger offen lässt oder die Sonnenstoren auf das Trottoir ragen. Viele Beamte kümmern sich darum, dass alles rechtens ist: Gastgewerbe-, Lebensmittel- und Arbeitsinspektorat, Inspektoren des L-GAV, der Mehrwertsteuer und AHV, die Allmend- und Alkoholverwaltung und viele mehr.

Dank Enthusiasmus und langen Arbeitstagen hat der Wirt sein Unternehmen knapp profitabel betreiben können. Die Margen sind dünn und es braucht «wenig», bis die Zahlen rot sind. Nicht mit «wenig» sondern mit einer kompletten Schliessung seines Geschäfts war er im Frühling konfrontiert. Er trägt die Massnahmen mit Solidarität mit. Als Patron steht er loyal zu seinem Personal: er meldet auch die Aushilfskräfte bei der Arbeitslosenkasse für Kurzarbeit an und trägt die Differenz bei den Sozialversicherungen selbst. Für sich selbst kann er allerdings nur einen minimalen Beitrag anmelden: als Eigentümer wird er wie Selbstständige taxiert.

Er denkt sich, wenn die Behörden umsetzten, was die Politik verspricht, dass man es schon schaffen wird. Irgendwie. Die Ernüchterungen kommen allerdings bald: die Versicherungen wollen plötzlich nichts mehr wissen von einem versicherten Betriebsunterbruch. Es stehe doch in den AGB sagt der Schadensachberarbeiter: der Versicherungsschutz gilt nur für eine Epidemie. Auch das nächste Gespräch ist nicht wie erhofft: der Real Estate Manager hat im Homeoffice nicht auf alle Unterlagen Zugriff. Aber er weiss mit Sicherheit: einem Mieterlass kann er nicht zustimmen. Kantonal rauft man sich zwar zu der Drittel-Lösung zusammen. National haben die Lobbyisten der grossen Immobilienfirmen aber eine Lösung verhindert.

Einige Wochen später kann der bereits etwas konsternierte Wirt endlich wieder aufmachen. Seine Lieferanten erinnern ihn daran, dass aus der Zeit vor dem Lockdown noch ein paar Rechnungen offen sind. Der COVID-Kredit ist rasch aufgebraucht. Mit dem was noch übrig ist, investiert er in sein Sicherheitskonzept: mit viel Kreativität baut er sein Betrieb so um, dass er seinen Gästen einen sicheren und gemütlichen Aufenthalt bieten kann. Er beginnt allerdings zu realisieren, dass er nicht so schnell wieder in die Gewinnzone kommt. Er hat einfach nicht mehr dieselbe Gästekapazität wie vorher und die Abläufe sind komplizierter geworden.

«Egal» denkt er sich: es kommt alles gut. «Eigenverantwortung und Vernunft» haben sie gesagt. Er merkt aber, dass das Stichwort «Vernunft» nicht überall gleich interpretiert wird. Von der Arbeitslosenkasse hat er nämlich das Geld für die Kurzarbeitsentschädigung noch nicht erhalten. Als er endlich eine Teilzahlung bekommt merkt er, dass der Anspruch vom Amt falsch berechnet wurde. Bereits werden Fristen knapp, welche vom Amt nicht mit der beschworenen Vernunft gehandhabt werden.

Langsam wird es dem Baizer unheimlich: von der Unterstützung vom Staat spürt er wenig. Immerhin hat er die Loyalität seiner Gäste. Denn das Sicherheitskonzept nützt: in seinem Lokal finden keine Ansteckungen statt. Er musste die für das Contact Tracing erfassten Daten bisher nie abliefern. Das lässt ihn zuversichtlich auf das Weihnachtsgeschäft hoffen. Ab November hat er viele Geschäfts- und Teamessen. Leider hatte die Allmendverwaltung kein Gehör für seine Idee von ein paar Iglu-Zelten ab er auch das steckt er in der Zwischenzeit weg.

Im November wird mit grossen Worten das Portal angekündigt, wo er sich für das kantonale Unterstützungsprogramm bewerben kann. Dazu braucht er «nur» die Ausweise über die UVG-Lohnsumme 2019, ein aktueller Auszug aus dem Betreibungsregister, die Abschlüsse 2018 und 2019, die Belege über erhaltene Finanzhilfen, die Bestätigungen der AHV, Steuer, UVG und Pensionskasse, dass per 15. März 2020 keine Posten offen waren, die MwSt 2018, 2019 und 2020, die Personalliste, den Handelsregisterauszug und die Betriebsbewilligung einzureichen.

Er weiss gerade nicht, wann er das alles machen soll. Doch dann kommt die Lösung: der Regierungsrat schliesst sein Betrieb am Freitag, 20. November für drei Wochen. Zwar hat er alle Bestellungen schon gemacht, die Kühlzellen und der Weinkeller waren voll.
Jetzt weiss er: auch aus dem traditionellen Weihnachtsessen für seine Gäste, welche seit Jahren bei ihm feiern, wird dieses Jahr nichts. Er braucht den Champagner nicht kalt zu stellen: neu wird in Basel bis am 22. Januar kein Restaurant offen haben. Aber endlich hat er Zeit, um sich um alle Unterlagen zu kümmern, die er für das Unterstützungsprogramm einreichen muss. Ob er je Geld sieht weiss er nicht: es entscheidet das vom Regierungsrat gewählte Fachgremium über jedes einzelne Gesuch. Hoffentlich mit «Eigenverantwortung und Vernunft»

Oktober 2, 2020No Comments

Schnaps war sein letztes Wort

Für diese Kolumne für das Gönnermagazin «GRANDE» von Hochstamm Suisse musste ich einige Schnäpse trinken...

Schnaps, das war sein letztes Wort

«Schnaps, das war sein letztes Wort, dann trugen ihn die Englein fort …». Dieses Karnevalslied, 1960 gesungen vom Kölner Volksschauspieler Willy Millowitsch, spielt darauf an, dass Schnaps vor allem wegen seines Alkoholgehaltes zur Berauschung getrunken wurde. Tatsächlich war ein Schnaps lange Zeit auch bloss ein Nebenprodukt der Obstproduktion: das Fallobst, welches nicht als Tafelobst verkauft werden konnte, wurde von den Bauern einfach in das Fass geworfen. Gemeint ist das Maischefass, in welchem die überall vorhanden Hefebakterien sofort damit begannen, Zucker in Alkohol umzuwandeln. Nach einer stürmischen Gärung zu Beginn verlangsamt sich der Prozess nach ein paar Tagen, bis schliesslich nach ein paar Wochen der Zucker komplett in Alkohol umgebaut wurde.

Im Winter, wenn es auf dem Hof sowieso weniger zu tun gab, wurde die Maische destilliert und zu Schnaps gemacht. Häufig machte man sich auch gar nicht die Mühe, die Früchte zu trennen: Birne oder Apfel – die sprichwörtliche Verwechslung war egal und es kam alles ins gleiche Fass. Das Ergebnis war dann auch entsprechend: der Obstler, Träsch, Bätzi oder das Bätziwasser war gerade gut genug, um zusammen mit dünnem Kaffee als Kaffi fertig getrunken zu werden.

Dass diese Form der Obstverwertung der Volksgesundheit und dem Familienfrieden auf den abgelegenen Höfen nicht gerade förderlich war, fiel auch den Behörden auf. Deshalb wurde 1932 ein neues Alkoholgesetz erlassen, mit welchem die «brennlose Obstverwertung» staatlich unterstützt wurde. Man hat den Saft der Birnen eingedickt, bis ein honigähnliches Produkt entstanden ist. Der Birnendicksaft erfüllte dabei gleich zwei verschiedene Zwecke: Zum einen wurde vermieden, dass die Birnen als Schnaps den
Alkoholismus fördern konnten. Zum anderen wurde Birnel an Bedürftige abgegeben. So ist vielen auch heute noch Birnel als «Honig für die Armen» bekannt.

Diese Entwicklung führte wohl mitunter dazu, dass der Obstschnaps heute – völlig zu Unrecht – bei den Spirituosen ein Schattendasein führt. Wer sich in den hippen Bars umschaut, der stellt fest, dass die Konsumenten heute Whisky, Wodka, Gin und Rum trinken. Auf jeden Fall alles interessante Spirituosen, die aber entweder keinen Geschmack haben oder aber ihren Charakter über ein Holzfass oder zugefügte Botanicals wie Wachholder im Gin erhielten.

Zum Glück gibt es heute Bauern und Brenner, die mit viel Wissen, Engagement und Begeisterung dem Obstschnaps zu neuen Ehren verhelfen. Als Genussenthusiast und Gastrojournalist kann ich versichern, dass Sie sich auf eine unglaublich grosse Palette sensorischer Überraschungen freuen können, wenn Sie sich auf eine Entdeckungsreise zu den Fruchtdestillaten begeben.

Damit beste Destillate entstehen, müssen Bauern und Brenner Hand in Hand arbeiten. Grundsätzlich gilt wie überall: nur aus besten Rohprodukten erzielt man eine aromareiche und sortentypische Qualität. Nur frisches, sauberes Obst, so richtig zum
hineinbeissen und vollreif gepflückt, bringt eine Topqualität. Unreifes,krankes oder fauliges Fallobst bringt neben zu wenig Zucker und zu wenig Fruchtaromatik auch grasige und krautig anmutende Mufftöne in die Maische. Die Auswirkungen sind eine schlechte Alkoholausbeute und sensorische Fehltöne.

Als Rohstoff für die Herstellung von qualitativ hochstehenden Destillaten kommen grundsätzlich alle zuckerhaltigen und gärfähigen Stoffe in Frage. Das können einheimische Früchte, Beeren, Gemüse, Getreide, Wurzeln, Wildfrüchte und vieles mehr sein. Aber nicht jedes Produkt muss sofort eingemaischt werden. Zum Beispiel können Früchte auch noch etwas gelagert werden. Bei manchen Wildfrüchten wie Schlehe, Mispel oder Vogelbeere muss der erste Frost abgewartet werden. Der Zuckergehalt steigert sich danach und der Gerbstoffgehalt wird vermindert.

Vor dem Einmaischen werden die Früchte zerkleinert. Dafür stehen den Brennern je nach Grösse Walzenmühlen, Rätzmühlen oder Mixer zur Verfügung. Es ist wichtig, dass Kerne und Steine auf keinen Fall beschädigt oder zerstört werden. Das würde zur Folge haben, und das ist nicht gewollt, dass ein Bittermandelton die Fruchtaromen überlagert. Der Maische wird nun eine passende Reinzuchthefe zugesetzt. Abgefüllt in luftdichte Kunststofffässer wird der Fruchtzucker in Ethylalkohol und Kohlendioxyd umgewandelt.

Bei einer optimalen Gärtemperatur von etwa 18 Grad Celsius steht einer sauberen, reintönigen Vergärung nichts mehr im Weg. Nach etwa drei Wochen sollte die vergorene Maische gebrannt werden.

Die Stunde der Wahrheit ist die Destillation: Der Vorgang des Brennens ist eigentlich ein Sieden der Maische. Dadurch wird der Trinkalkohol (Ethanol) zusammen mit anderen flüchtigen Stoffen bei einem Siedepunkt von 78.3° Celsius aus der Maische herausdestilliert.

Es entsteht ein intensiver Wärme- und Stoffaustausch zwischen zurückfliessendem Kondensat und aufsteigendem Dampf und der Alkohol konzentriert sich beim Aufsteigen in der Kolonne. Die Kunst besteht darin, die in der Maische befindlichen Alkohole und Aromastoffe möglichst schonend zu brennen.

Ein frisch destillierter Brand ist noch unfertig und schmeckt alkoholisch scharf. Er ist auch noch nicht vollaromatisch und wirkt rau. Eine Reifung von mindestens zwei bis drei Monaten, möglichst bei Zimmertemperatur und dunkel gelagert, gibt dem Brand ein harmonisches und abgerundetes Bouquet. Anschliessend wird das Destillat mit Wasser auf eine Trinkstärke von etwa 40 % Vol. Alkohol herabgesetzt, gekühlt und filtriert. Nun beginnt die Lagerung der Edelbrände: optimal in dunklen Flaschen und in kühlen, dunklen Räumen. Die meisten Destillate reagieren auf Luftkontakt empfindlich. Das Fruchtaroma verschwindet in einer offenen Flasche rasch oderbekommt eine ranzige Note.

Sie ahnen es: Destillate, welche mit so viel Können und Engagement hergestellt werden, sollten nicht als Schnaps bezeichnet und mit Kaffee verdünnt werden. Bestellen Sie das nächste Mal als Digestif nicht einen Whisky, Cognac oder einen "Vielle", der mit Karamel versetzt ist, sondern eine klares, aromatisches Fruchtdestillat und erleben Sie die Eleganz der Aromen von reifen Früchten.

September 1, 2020No Comments

Notiz aus den Ferien: die kleine Trattoria

Eine ehemals kleine Trattoria im verschlaffenen Städtchen mit ein paar wackligen Tischchen vor dem Lokal ist im Post-Corona-Zeitalter angekommen: gegenüber dem Lokal stehen jetzt noch ein dutzend Tische unter dem vollautomatischen Gross-Sonnenschirm. Ein reinweisser LED-Scheinwerfer beleuchtet die Plastikpflanze und blendet die Gäste.
Als erstes bringt mir die Servierfachkraft ein extra für mich gedruckter Zettel mit QR Code. Ich will ein Glas Wein bestellen, sie aber zeigt bloss auf den Zettel.
Darauf steht in den wichtigsten Sprachen der Welt, dass ich eine App laden muss, um hier verköstigt zu werden. Mein Einwand, ich hätte als Tourist wenig Datenvolumen verursacht nur ein Schulterzucken: das WLAN reicht leider nicht aus dem Lokal raus bis zum Platz, wo ich sitze.
Als ich die App schliesslich geladen habe und ich mich über mein Facebook-Profil eingeloggt habe (der Wirt kann jetzt meine Ferienfotos wahrscheinlich auch ansehen) muss ich über ein paar Seiten hinweg Auskunft über meine Allergien, Intolleranzen und kulinarischen Präferenzen geben. Erst dann bekomme ich eine für mich individuell zusammengestellte Auswahl an Gerichten präsentiert.
So weit, so schlimm: ich stelle per Drag & Drop mein Menu zusammen. Wie üblich in Italien: Antipasto, ein bisschen Pasta als Primo und ein bisschen Fleisch als Secondo. Ich drücke auf „Order“ und habe noch 30 Sekunden Bedenkzeit, bevor meine Bestellung an die Küche übermittelt werden soll. Ich riskiere alles und beobachte den effektvoll annimierten Countdown bis er auf Null ist.
Es vergehen keine 30 Sekunden, bis die Servierfachkraft mit einem langen Papierstreifen auftaucht und mich vorwurfsvoll fragt, ob ich tatsächlich alles aufs Mal will?
Ma No!! Zuerst das Antipasto, dann Primo, dann Secondo. So wie üblich! Dann hätte ich das beim bestellen auch so angeben müssen. Aber sie würde das jetzt ausnahmsweise für mich umprogrammieren ... Über der Maske geben mir die Augen zu verstehen, dass ich ganz offensichtlich naiv aber nicht digital native bin.
Den Wein und das Wasser musste ich dann separat bestellen. In der Zwischenzeit habe ich den ersten Gang bekommen. Die Servicefachkraft musste aber zuerst an 5 Tischen fragen, wer das bestellt hat. Ich weiss jetzt: ich bin Tisch 18 und ich bin zuversichtlich, dass der Hauptgang noch warm ist, bis er bei mir eintrifft.

August 27, 2020No Comments

Fine to Dine Zürich, Ausgabe 4 2020

Ich freue mich, dass ich für Fine to Dine als Chefredaktor die Ausgabe 4/2020 Zürich realisieren durfte. Weitere Ausgaben demnächst ...

März 17, 2020No Comments

Essen per Handy

Sie lesen die vorderhand letzte Ausgabe von «Gepfeffert». Der Verlag hat dieser Zeitung die Strategie «mobile first» verordnet. Als Kolumnist weiss ich selbstverständlich nicht genau, was diese Strategie beinhaltet. In der Werbung und Kommunikation versteht man darunter, dass alles – also Technik, Inhalt und Ansprache – darauf ausgerichtet ist, dass der Inhalt auf dem Handy konsumiert wird. Von «Lesen» traut man sich in dem Zusammenhang schon fast nicht mehr zu sprechen. Über den Tag verteilt werden dem Publikum – respektive im Marketingslang «der Audience» – unter mehr oder weniger reisserischen Titeln zielgruppenorientierte News-Häppchen serviert, die dann hoffentlich zu Klicks, Likes, Kommentaren und somit zu Werbeeinnahmen führen.

Jedenfalls führte diese Strategie dazu, dass es diese Kolumne (und andere) nicht mehr geben soll. Denn wer will schon rund 4'200 Zeichen über Genuss und Lebensfreude lesen? Das hat ja auf keinem Handybildschirm Platz. Und empören kann man sich dabei auch nicht recht. Logisch, dass es da auch keine Kolumnisten mehr braucht. Wahrscheinlich im Zeitalter von Influencern sowieso ein aussterbender Beruf. (Ich sehe leider auch gar nicht mehr so knackig aus, wie alle diese Instagram-Stars).

Aber eigentlich kann man dem Verlag keinen Vorwurf machen. Er setzt mit der neuen Strategie nur um, was wir als Konsumenten und Gäste auch im kulinarischen Bereich schon längstens machen und offenbar fordern. Auf der Strasse schneiden sich die unterschiedlichen Kuriere gegenseitig den Weg ab: auf ihren Autos und Rucksäcken steht JUST EAT!, UBER EATS oder einfach nur «eat!» Wir bestellen unser Essen – also eigentlich müsste ich sagen unseren Food – über das gleiche Handy, über welches wir kurz vorher ein Newshäppchen oder einen Instagram-Post konsumiert haben.

Im kürzlich eröffneten neuen McDonalds am Centralbahnplatz versucht man lästige und unerwünschte Interaktion zwischen dem Gast und den Mitarbeitenden auch mit Apps und Terminals zu verhindern. An grossen Automaten kann man – bloss zwei Meter von der eigentlichen Theke entfernt – sein Meal zusammenstellen. Ich bin sicher: es geht nicht mehr lange, da bringt mir eine Drohne mein Food nach Hause oder ins Office.

Selbstverständlich sind all diese verschiedenen Super-, Fast- und Streetfoods hygienisch in verschiedene Folien, Dosen und Schachteln verpackt. Während wir mit der einen Hand den Wrap oder Burger auspacken und essen, tippen wir mit der anderen auf der Newsapp den nächsten Artikel an, welcher über die Bedrohung durch Mikroplastik aufmerksam macht. Unsere Empörung ist gross und wir machen mit einem zornigen Emoji unserem Unmut Luft.

Apropos Emojis: von all den Symbolen werden die Aubergine, die Kirschen und der Pfirsich mehr verwendet als der Wrap und Burger. Dass damit in eindeutigen Chats männliche oder weibliche Geschlechtsteile gemeint sind, weiss ich auch erst, seit ich gelesen habe, dass Auberginen und Pfirsiche auf Facebook tabu sind, wenn der Nutzer sie in einem sexuellen Kontext verwendet. Hält man sich nicht daran, wird das Konto gesperrt. Gleiches gilt für Instagram. Die Algorithmen und künstlichen Intelligenzen werden mich schneller ertappen, als ich tippen kann.

Aber zum Glück gibt es die Apps der Krankenkassen. Die belohnen mich dafür, dass ich die Treppe statt dem Lift nehme, das Velo statt das Tram, und ich über Mittag statt einer Happy Waffel einen Powerdrink konsumiert habe. Wenn das Fitness-Armband zudem merkt, dass ich 10'000 Schritte gelaufen bin, dann werde ich mit einem Bonuspunkt belohnt.

Nach solch anstrengenden Tagen ist es natürlich etwas viel verlangt, zuhause noch aufwendiges Essen zuzubereiten. Zum Glück haben Betty und Anna bereits für mich vorgekocht und ich muss die gluschtigen Mahlzeiten – von Ernährungsspezialisten für mich entwickelt – nur noch schnell in der Mikrowelle erwärmen. So bleibt mir auch ein bisschen mehr Zeit, um auf Netflix eine neue Folge von Chef's Table anzusehen, wo mir die weltweit besten Köche vorgestellt werden.

Diese letzte Kolumne schreibe ich im Homeoffice. Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga versichert, das Leben höre nicht auf. Es sei bloss verlangsamt. Sehen Sie es als Chance, das Handy aus der Hand zu legen und wieder mal selbst zu kochen. Zum Beispiel eine Aubergine.

Februar 29, 2020No Comments

Primitivo! Oder der Untergang der Weinkultur

Wussten Sie, dass bei guten Weinen bis zu 500 unterschiedliche Aromen ausgemacht werden können? Damit meine ich nicht die Bewertungen von sich leicht überschätzenden Möchte-gern-Kennern, die sich schlürfend und schmatzend mit der Nase im Glas mit Beschreibungen zu überbieten versuchen. «Überreife Walderdbeeren und ein Hauch von Cassis» ist noch heilig. Auch Pfirsich, Aprikose, Quitte und Ananas haben bei einem Riesling ihre Berechtigung. Aber bei «geteerten alten Eisenbahnschwellen» und «der schier unglaublichen Komplexität mit einem eminent eleganten und Geduld fordernden Gaumen und einem Finale von epischer Länge» fragt man sich, was die Kritiker ausser dem Wein noch zu sich genommen haben.

Aber ich schweife ab. Was ich sagen wollte: Weine können während ihres Herstellungs- und Reifeprozesses sehr vielschichtige Aromen entwickeln. Der Önologe unterscheidet dabei Primär-, Sekundär- und Tertiäraromen. Das Primäraroma umfasst alle Fruchtgerüche, die bereits in der Weinbeere vorhanden und besonders im gepressten Saft wahrnehmbar sind. Die sortentypischen Aromen eben.

Das sogenannte Sekundäraroma umfasst alle Gerüche, die während der Vinifizierung und dem Ausbau entstehen. Hier ist das ganze Wissen, Können und die Erfahrung des Weinbauers gefragt. Leider immer wie mehr auch Technik: extra gezüchtete Hefen können beispielsweise gezielt klar definierbare Aromastoffe produzieren und sogar die Sortentypizität der Rebsorte überlagern. Je nach Ambition des Winzers versucht er unterschiedliche Aromen zu pushen: eine betonte Fruchtigkeit – der Wein riecht nach seiner Traubensorte und Herkunft – oder «gekochte» Aromen nach Konfitüre und Kompott, meist zusammen mit noch mehr Alkohol. Deutlich wahrnehmbare Würznoten – Vanille, Holz, Muskat, Zimt – entstehen im Eichenholzfass, in dem der Wein reift. Produzenten von billigem Wein wie zum Beispiel Primitivo haben aber gar nicht das Geld, um sich neue Eichenfässer zu leisten. Dort werden einfach Holzschnipsel in den Wein geschüttet.

Die Tertiäraromen schliesslich entstehen durch die Reifung des Weines im Flaschenkeller. Typischerweise sind das Alterungsnoten wie von Trockenfrüchten, Nüssen, Mandeln, Gewürzen. Sie entstehen durch das Zusammenwirken von Sauerstoff, Säuren und Alkohol.

Viele Weintrinker bestellen heute bewusst «kräftige, gehaltvolle» Weine und glauben dann, sie hätte damit auch automatisch gute und teure Weine gekauft. Entsprechend sehen die Weinkarten von durchschnittlichen Restaurants aus, in denen sich kein Sommelier um den Keller kümmert. Kürzlich wurde mir in einem italienischen Restaurant ein Chianti Riserva, zwei (!) Primitivo, ein Nero d’Avola und als besonderes Highlight ein Ripasso Superiore aus dem Valpolicella angeboten. Statt der Weinsorten hätte man auch schreiben können: Karamel, Vanille, Kirschen, Zwetschgenkompott. Liest sich wie die Aromen von Limonaden.

Weine schmecken also nicht mehr nach ihrer Traubensorte, nach Herkunft, nach den Erden, auf denen sie gewachsen sind, sondern nach standardisierten Aromen, produziert nach dem, was die Gäste bestellen. Schuld an dieser Misere ist meiner Meinung nach Robert Parker. Eigentlich Anwalt gibt er seit den 80er-Jahren den Newsletter «The Wine Advocate» heraus, in dem er Weine auf einer Skala von 0 bis 100 Punkten bewertet. 98 oder mehr Punkte bekommen nur Weine, welche einen «tiefen und komplexen Charakter aufweisen». Parker hat eine Vorliebe für fruchtige, dichte Weine und hat damit weltweit ganz viele Winzer beeinflusst. Lange waren PPs – also Parker Points – gleichbedeutend mit Preis. Vielen Weinbauern wurde das zum Verhängnis: sie produzieren heute Weine, die schmecken wie x-tausend andere Weine auch. So wird nicht der Wein, sondern das Etikett zum Kaufkriterium.

Probieren Sie das nächste Mal wieder einen Wein, auf dem nicht Riserva oder Superiore draufsteht oder der mit vielen Parker-Punkten beworben wird. Auch Prägedruck und Gold auf der Etikette sollten Sie stutzig machen. Dann haben Sie die Chance zu erleben, was Terroir und Herkunft heisst. Und wieso es eine Rolle spielt, ob es ein lehmiger oder kalkhaltiger Boden war, auf dem der Wein gewachsen ist.

Tipp: Lebendige Weine, die ohne Technik hergestellt wurden, gibt es bei Vive le Vin in der St. Johanns-Vorstadt 49.

Januar 20, 2020No Comments

Von fantasielosen Gästen und langweiligen Wirten

Wenn man sich ansieht, welche Restaurants in letzter Zeit aufgemacht haben, könnte man meinen, wir seien nicht in Basel, sondern in Rom. Zu einem bereits bestehenden Anteil von gefühlten 75 Prozent italienischen Restaurants sind nochmals einige Ristoranti, Pizzerie und Osterie hinzugekommen. In bester Lage in der Innenstadt buhlen unzählige Lokale um die Gunst von Pizza- und Pasta-essenden Gästen. Es gibt Strassenabschnitte – auch in den Aussenquartieren – da trennen nicht einmal hundert Meter das eine italienische Restaurant vom anderen. Ausgelobt werden sie alle in den farbigsten Worten: die einen interpretieren Traditionen neu und kochen dennoch wie eh und je, die anderen haben, wenn nicht die beste dann die grösste oder längste Pizza.

Wem fehlt hier eigentlich die Fantasie? Sind es die Gastronomen, denen einfach nichts mehr Neues in den Sinn kommt? Die sich freuen, dass sie für eine Pizza Margherita Warenkosten von 1.50 Franken haben? Selbst wenn man Miete, Lohn- und Nebenkosten einrechnet, gibt es wohl kein Gericht, dass eine bessere Marge aufweist als der Fladen, der ursprünglich zu Ehren der Frau von König Umberto I erfunden wurde.

Noch besser wird die Rechnung für den gewieften Wirt, wenn Sie sich dazu einen Salat bestellen, welcher vorgewaschen und gerüstet vom Grosshandel angeliefert wird und Sie – als ob es keine anderen Traubensorten mehr gäbe – eine Flasche Primitivo bestellen, die im Einkauf 3.50 Franken kostet und auf Ihrer Rechnung mit 45.- Franken zu Buche schlägt.

Der Espresso zum Schluss ist dann leider nicht mehr so gut wie die Pizza und der süffige Wein: eine dünne Crema und bitter-verbrannt im Geschmack. Denn leider ist der Buffetbursche an der Theke nicht ausgebildet an der Siebträgermaschine. Er weiss über Kaffee lediglich, auf welchen Knopf er drücken muss und dass die Maschine keinen Kaffee macht, wenn er ihn vorher nicht auf der integrierten und vernetzten Kasse getippt hat.

Apropos vernetzte Kasse: haben Sie je versucht etwas zu bestellen, was nicht auf der Karte ist, oder ein Gericht in einer anderen Kombination und sind gescheitert? Das liegt meistens nicht daran, dass der Cameriere oder Pizzaiolo nicht alles für Sie tun würden. Es liegt daran, dass nicht bestellt, gekocht geschweige denn serviert werden kann, was nicht getippt werden konnte. Die Servicefachangestellte – also eigentlich die Studentin im Stundenlohn – hat ja schliesslich auch nicht mehr einen Bestellblock, sondern ein Tablet in der Hand.

Aber in den meisten Fällen ist das bei dieser Art Restaurants auch kaum ein Problem: die Speisekarte wurde einmal geschrieben, in fancy Design gestaltet und in grosser Auflage – noch praktischer gleich als Tischset – gedruckt. So kommt auch niemand auf die Idee, dass in diesem Lokal irgendetwas Saisonales oder Abwechselndes angeboten wird. Ruccola, ohne den ja offenbar kein italienisches Gericht mehr auskommt und der von der Fantasielosigkeit ablenken will, wächst im Treibhaus ja das ganze Jahr über.

Dass diese Rechnung für den Gastronomen aufgeht, hat nur damit zu tun, dass er damit rechnen kann, dennoch eine volle Gaststube zu haben. Wir Gäste und Konsumenten bestimmen, welche Restaurants, welche Konzepte und welche Angebote erfolgreich sind. Offenbar gelüstet es uns nicht mehr nach Vielfalt und Abwechslung, haben wir keine Lust Neues zu entdecken und freuen uns, wenn alles immer so schmeckt, wie wir es bereits kennen. Wir sind anspruchslos geworden. Essen wie in einer Netflix-Serie: wir kennen die Protagonisten, wir wissen um was es geht, der Handlungsstrang ist vorgezeichnet. So wie Netflix die Sehgewohnheiten der Abonnenten perfekt auswertet und sein Angebot danach ausrichtet, macht es auch der Wirt.

Gleichzeitig werden auf Verbandsanlässen, in Zeitungen und Kommentarspalten ausbleibende Gäste, Margendruck und hohe Kosten beklagt. Ganz aktuell sind es wieder fehlende Parkplätze oder die autofreie Innerstadt, die angeblich die Gäste abhalten zu kommen. Doch wenn es überall gleich schmeckt, wen wundert es dann, dass die Gäste zu Hause bleiben? Gleichzeitig haben nämlich in den Buchhandlungen Kochbücher Hochkonjunktur. Zu Hause wird mit Liebe und Hingabe experimentiert, und es werden neue Rezepte ausprobiert. Es wäre schön, wenn man das im Restaurant auch wieder mal tun könnte: etwas essen, was man noch nicht kennt.

Januar 13, 2020No Comments

Ein Herz für das Klima!

Hand auf's Herz: wann haben Sie das letzte Mal Herz gegessen? Noch nie? Es läuft Ihnen kalt den Rücken runter, wenn Sie nur daran denken? Da denken Sie schon lieber an das Fondue Chinoise zurück, dass Sie an Weihnachten gegessen haben? Haben Sie sich beim Fondue Chinoise – es war bereits so praktisch vorgeschnitten und auf einer Plastikplatte angerichtet, die aussah, als wäre sie aus teurem Tafelsilber – gefragt, woher das Fleisch gekommen ist? Wenn Sie sich einfach für ein Aktionsangebot beim Grosshändler entschieden haben, ist die Chance gross, dass das Rind in der Ukraine, Südamerika oder Australien aufgewachsen ist.

Vor ein paar Tagen habe ich ein Interview mit Christian Jörg gelesen. Der Schweizer Bauer ist heute im Management der Saudi Agricultural and Livestock Investment Company zuständig für die Versorgungssicherheit Saudi-Arabiens und betreibt in der Ukraine und in Australien zwei Bauernhöfe. Zwei Bauernhöfe? Für ganz Saudi-Arabien? Ja! Beide Betriebe bewirtschaften je eine Fläche von 220'000 Hektaren. Die beiden Betriebe zusammen bewirtschaften also eine Fläche so gross wie alle Ackerflächen der Schweiz zusammen, von Schaffhausen bis Genf. Ein paar Fakten gefällig? «Die Traktoren fahren automatisch, da sitzt kein Mensch mehr in der Kabine. Wir arbeiten mit Drohnen, Satelliten, Big Data. Der Kontrollraum sieht aus wie jener im Flughafen Zürich.» Und: «Wir haben eine Schlachtkapazität von 30'000 Rindern, pro Tag!».

In diesem Zusammenhang kommt mir ein Gespräch in den Sinn, welches ich vor einiger Zeit mit einem Freund hatte, welcher als Agronom ETH eine Ahnung davon hat: Wir Schweizer neigen auch beim Essen dazu, uns das Filetstück zu sichern. Und da ein Tier nun mal nur ein Filet hat, importieren wir sehr viel Fleisch aus dem Ausland, wo es ausserdem sehr viel billiger «hergestellt» wird. In Südamerika werden die meisten Rinder in sogenannten Feedlots gemästet, also auf grossen überdachten Mastplätzen. Diese Rinder gehen nicht auf die Weide. Die Betreiber mähen nicht selbst Gras, sondern kaufen Futtermittel wie Soja auf dem globalen Markt. Um die steigende Nachfrage zu decken, wird das zunehmen: Regenwald wird abgeholzt, um neue Agrarflächen zu bewirtschaften.

In letzter Zeit werden viele Diskussionen darüber geführt, was wir in der kleinen Schweiz denn überhaupt tun können, damit das Klima dem Planeten nicht den Garaus macht. Dass ein argentinisches Rindsfilet oder ein neuseeländisches Lamm wort- und sprichwörtlich nicht die naheliegende Lösung ist, leuchtet ein.

Damit kommen wir zurück zum Herz: seit einiger Zeit macht der Begriff «Nose to Tail» die Runde. Viele Gastronomen werben damit und wollen sich damit ein nachhaltiges Image geben. Wenn man dann aber auf die Speisekarte schaut, stehen dort allerdings weiterhin Entrecôte, Steak und Filet. Ein Nierstück gilt bereits als mutig, eine Haxe als das äusserste, was man seinen Gästen zumuten kann. Selbstverständlich wäre es falsch, die Schuld alleine den Gastronomen in die Schuhe zu schieben. Auf einer Speisekarte steht ja nur, was die Gäste auch bestellen. Und seien wir ehrlich: Wann haben Sie zum letzten Mal Nierchen gegessen? Milken, Kutteln, Zunge? Kalbskopf?

Bei Nose to Tail geht es meiner Meinung nach nicht um eine Mutprobe oder die eigene Kühnheit. Häufig denkt man dabei an Blut und Schleim, welche zwar ein integraler Bestandteil, aber eben nur ein Teil des komplexen Netzwerks der Natur sind. Fleisch und Gemüse besteht aus Blättern, Muskeln, Stängeln, Knollen, Organen und Innereien. Nose to Tail ist vielmehr eine Art zu leben und mit der Welt ganzheitlich umzugehen.

Das Herz ist dabei quasi die Seele des Ganzen: nichts bringt das Wesen eines Tiers besser zum Ausdruck. Ein Ochsenherz schmeckt wie die Essenz eines Ochsen. Das Lammherz vereint den ganzen Geschmack dieses Tieres. Und nichts ist filigraner als ein Hühnerherz. Es ist erstaunlich, wie zart so ein Herz ist, wenn man bedenkt, wie hart es arbeitet.

Probieren Sie es aus! Fragen Sie das nächste Mal den Koch, ob er Ihnen ein Herz zelebriert. Stöbern Sie im Kochbuch Ihrer Grossmutter: Sie werden wunderbare Rezepte finden. Falls es Sie bei der Vorstellung graust, wäre es ehrlicher, wenn Sie das nächste Mal statt eines Filets einen Lauch bestellen. Ob Herz oder Filet: das Tier ist dasselbe. Bloss hat das Herz etwas weniger Fett.

Dezember 12, 2019No Comments

Dio santo! Der Fluch mit selbstgemachter Pasta.

Als Hobbykoch sucht man ja immer neue Herausforderungen und durchläuft verschiedene Phasen der Selbstverwirklichung. Selbstverständlich behauptet man immer, dass man ausschliesslich aus Spass kocht und es nur für sich selbst und seine Familie macht. Aber seien wir ehrlich: wie bei der Weihnachtsbeleuchtung, bei der jedes Jahr mehr Technik verbaut wird, versuchen wir unsere Freunde mit kulinarischer Höchstleistung zu beeindrucken und wollen jedes Mal mehr bieten. Die Familie kann den x-ten Versuch mit den neuen Rezepten, der neuen Maschine oder der neuen Technik schon nicht mehr sehen und hat ständig Ausreden, wieso es heute einfach wieder mal eine lauwarme Pizza vom Kurier sein soll.

Ein beliebter Tummelplatz, seine ganze kulinarische Potenz zu beweisen, ist hausgemachte Pasta. So schwierig kann das ja nicht sein. Schliesslich haben Sie erst vergangen Sommer in Bari den Nonnas im Schatten der über der Strasse flatternden Wäsche zugeschaut, wie sie scheinbar mühelos und dabei noch ständig plappernd auf einem Holzbrett perfekte Orecchiette machten.

Aus leidvoller Erfahrung wissen Sie aber, dass das alles nicht so leicht ist. Die Pastamaschine, welche Sie extra auf dem Mercato gekauft haben, steht seit vielen Jahren unbenutzt ganz oben im Schrank. Das grosse Holzbrett, dass Sie hier im extravaganten Küchenladen gekauft haben und auf dem Sie von Angnolotti bis Volanti alles machen wollten, was die italienische Küche hergibt, steht im Keller und hat schon ein bisschen Schimmel angesetzt.

Die vermeintlichen Hürden sind vielfältig: es beginnt bereits beim Kauf des richtigen Mehls. Diejenigen Hobbyköche, welche nicht nur ihre Gäste, sondern auch noch das ganze Internet beeindrucken wollen und ihre Rezepte mit Stolz auf den einschlägigen Foren oder Blogs kundtun, sprechen von Grano duro und Sie finden nur Weichweizen oder Griess? Was ist jetzt was? Kommen in den Pastateig auch Eier? Und Olivenöl, das als Geheimtipp gehandelt wird? Das letzte Mal, als Sie im Gourmetladen sündhaft teures Mehl gekauft– Sie hätten sich davon schon fast den ersten Gang beim Nobelitaliener leisten können – und Sie in der ganze Küche bereits die extradicken Wäscheleine zum Trocknen der Nudeln aufgehängt haben, war der Teig einfach nur klebrig und hat sich partout nicht durch die Nudelmaschine treiben lassen.

Wie – Dio santo! – soll man denn da überhaupt in die höheren Sphären aufrücken, wo zum Beispiel Strozzapreti serviert werden? Die Pasta, die so gut sein soll, dass daran fast der Pfaffe erstickte. Oder wie sollen schöne Ravioli entstehen, wenn jedes Stück Pasta immer nur wie Maltagliati aussehen? Und überhaupt: wie kann man zuhause Maccheroni machen?

Auf alle diese Fragen gibt es jetzt einfache Antworten. Sie stehen in einem Buch, das sich schlicht und einfach «Pasta» nennt und von Anna Pearson kommt. Seit ihrer Kindheit steht Anna gerne in der Küche. Nach einem Designstudium an der Zürcher Hochschule der Künste machte sie bei ihrer Tante in deren Tessiner Restaurant ein Praktikum und war sich sicher, dass sie ihre Leidenschaft zum Beruf machen will, und tauschte die Computermaus gegen den Kochlöffel. Grafikdesign liegt ihr allerdings immer noch am Herzen: ihre Bücher werden regelmässig mehrfach ausgezeichnet.

Anna hat bei der Pasta fatta in casa dieselben Erfahrungen gemacht wie Sie und ich, gab aber im Unterschied zu uns nicht so schnell auf. (Ich kenne Anna aus früheren Projekten und weiss, dass sie sehr beharrlich sein kann.) Nach vielen Versuchen, langer Praxis im Restaurant Italia in Zürich und Reisen in die Toscana, wo sie sich mit Bauern, Müllern und Nonnas über die verschiedenen Getreidesorten und das Pastamachen ausgetauscht hat, weiss sie nun, wie perfekte Pasta gelingt. Und ich weiss es nach dem Lesen von «Pasta» jetzt auch und kann versichern: es ist viel einfacher als man meint. Wenn man weiss, was man tut.

Mein Vorschlag: schenken Sie dieses Buch nicht ihren Freunden oder ihrem Liebsten, die bisher vergeblich versuchten, mit selbstgemachter Pasta Ihre Anerkennung zu bekommen – sie könnten es falsch verstehen. Schenken Sie dieses Buch sich selbst und versöhnen Sie sich mit allen bisherigen Erfahrungen in der Pastaherstellung. Sie werden sehen: es kann so einfach sein, dass sie wahrscheinlich gar keine Pasta mehr kaufen wollen.

Einkaufstipp: Das Buch von Anna Pearson gibt es im Buchhandel und auf ihrer Website editiongut.ch, aber ganz bewusst nicht auf Amazon.