Zwetschgen von grossen Hochstammbäumen waren einst neben Kirschen die wichtigste landwirtschaftlich angebaute Frucht im Baselbiet. Nachdem sie fast verschwunden waren, geniessen sie heute einen guten Ruf als rare Delikatesse.
Sie heissen Fellenberg, Bühler und Hauszwetschge. Die Rede ist von Zwetschgen, wie sie ab dem 19. Jahrhundert an vielen Orten im Baselbieter Jura angebaut wurden. Die Hochstammgärten wurden zu einem prägenden Element der hiesigen Kulturlandschaft. Unter Kulturlandschaft versteht man eine Landschaft, die von Menschen geschaffen, gepflegt und unterhalten wird.
Hochstamm-Bäume – auch Chriesi, Äpfel, Birnen, Quitten, Mirabellen und Baumnüsse – waren für die Landwirte interessant. Die hohen Bäume waren eine perfekte Ergänzung auf Wiesen und Weiden: Sie boten den Tieren – meistens Rindern und Schafen – Schutz vor Witterung, der Boden trocknete nicht so schnell aus, und die tiefen Wurzeln schützten vor Erosion.
**Aufwendige Ernte, reiche Belohnung**
Das Ernten von Hochstamm-Obst ist naturgemäss mit einigem Aufwand verbunden. Es müssen hohe Leitern angestellt und die Früchte sorgfältig von Hand gepflückt werden. Der Lohn für diesen Aufwand sind Früchte mit einem äusserst vielfältigen Aroma. Mit Vielfalt von Aromen ist nicht einfach nur Süsse gemeint. Je nach Sorte begeistern die Früchte mit erfrischender Säure, komplexen Gerbstoffen oder betörendem Duft.
Nicht immer wurde alles Obst jedoch von Hand als Tafelobst geerntet, sondern oft geschüttelt und aufgelesen, als es am Boden lag. Aus offensichtlichem Grund nennt man das Fallobst. Dieses Fallobst wurde dann im Fass zu einer Maische vergoren und später in der Brennerei zu Schnaps destilliert. Es kam, wie es kommen musste, wenn Menschen einen einfachen Weg finden, sich zu berauschen: Hochstamm-Obst wurde als Ursache für alle Folgeprobleme von Alkoholmissbrauch identifiziert, und der Staat suchte Wege, diese «Sucht» einzudämmen.
**Rückgang und Wiederaufleben der Hochstamm-Gärten**
Bis in die späten 70er-Jahre bezahlte der Bund jedem Bauern, der seine Hochstamm-Bäume fällte – man ist geneigt zu sagen «saftige» – Fällprämien. Diese Massnahme war so effektiv, dass die traditionellen Hochstammgärten fast verschwanden. Zählte man in der Schweiz in besten Zeiten über 15 Millionen Bäume, waren es zum Schluss noch gut zwei Millionen.
Die 60er- und 70er-Jahre waren geprägt vom Glauben an den technischen Fortschritt. Wieso soll man mühsam hohe Bäume bewirtschaften, wenn in Niederstamm-Kulturen alles viel einfacher «von der Hand» geht? Neue Errungenschaften in der Agrochemie und neu gezüchtete Sorten versprachen mehr Ertrag und weniger Arbeit. Die Sorten «Tophit» oder «Black Splendor» sind die neuen Verkaufsschlager. Die Black Splendor misst gemäss Beschreibung sechs bis sieben Zentimeter im Durchmesser. Wie soll da eine Hauszwetschge von zwei bis drei Zentimeter mithalten? Damit eine Zwetschge so gross werden kann, braucht sie natürlich viel Wasser, was aber in maschinell bewirtschafteten Anlagen kein Problem darstellt.
Irgendwann begannen sich Menschen zu fragen, wieso plötzlich viele heimische Vogelarten vor dem Aussterben bedroht waren. Oder wo eigentlich die vielen Steinkäuze hingekommen sind? Fledermäuse, Bienen, Insekten – alle plötzlich deutlich dezimiert. Bis man realisierte, was für ein wichtiger und vielseitiger Lebensraum der Hochstamm-Baum ist und welch grossen ökologischen Nutzen er während seines oft mehrere Generationen überdauernden Lebens erbringt.
**Gutes tun und gutes essen**
Gleichzeitig begannen sich die Konsumenten zu fragen, wieso die zwar grossen und glänzenden Zwetschgen kaum mehr Geschmack haben. Die Antwort wissen zum Beispiel Dora Meier vom Projekt «Posamenter» oder Vreni Wüthrich vom Biohof Horn. Etwas rhetorisch stellen sie die Gegenfrage, wie denn Geschmack in eine Frucht kommen soll, wenn sie fast nur aus Wasser besteht und die kleinen Bäumchen kaum Wurzeln haben, die Mineralstoffe aus dem Boden gewinnen können? Die neuen Sorten erreichen zwar eine respektable Grösse, aber nicht mehr die gleiche Aromaintensität.
Dank Persönlichkeiten wie Dora Meier, die mit Posamenter aus Hochstamm-Zwetschgen von Produzentinnen wie Vreni Wüthrich erstklassige Produkte herstellen lässt und vermarktet, haben Hochstammgärten wieder eine Zukunft und können sinnvoll bewirtschaftet werden. Als Geniesserinnen und Geniesser profitieren wir gleich mehrfach: Feinste Delikatessen bereichern unseren Speiseplan, und dank des Genusses dieser Spezialitäten leisten wir ganz direkt einen Beitrag zum Klima: Hochstammbäume speichern über ihre Lebensdauer viel CO2, spenden viel Schatten und halten mit den grossen Wurzeln den Boden feucht. Selten hat Klimaschutz so gut geschmeckt!